Sehr geehrte Damen und Herren,
auch ich begrüße Sie herzlich und möchte Sie mit einigen Worten in die Ausstellung von Gabriele Vallentin und Charly Loth einführen. In den schönen Räumen des Galerievereins sind heute nicht nur zwei künstlerische Positionen zu sehen, sondern auch zwei Kunstgattungen ausgestellt - Malerei und Skulptur. Sie stehen in einem spannungsvollen Verhältnis zueinander und ergänzen sich dabei ästhetisch hervorragend. Das ist nicht unbedingt selbstverständlich, wirkt doch die zweidimensionale Malerei durch ihre Farben in den Raum hinein, während die dreidimensionale Skulptur selbst im Raum steht und gestalterisch auf ihren Umraum, also den sie umgebenden Raum, wirkt.
Gemeinsam ist den beiden hier vereinten Positionen ein ähnlicher, zurückhaltender Modus - eine ruhige, harmonische Stimmlage, die sich nicht laut in den Vordergrund drängt. Erst die aufmerksame Betrachtung der Arbeiten, ein genaues Hinsehen erschließt dem Besucher ihren feinsinnigen Charakter. Ich hoffe, daß ich Ihnen dazu einige Anhaltspunkt geben kann.
Doch zunächst eine kurze biographische Vorstellung der beiden Künstler. Gabriele Vallentin wurde in Bielefeld geboren. Sie studierte zunächst in Münster in Westfalen Anglistik und Textile Gestaltung und war danach im Schuldienst am Gymnasium tätig. Noch während dieser Zeit nahm sie ein zweites Studium in Bielefeld auf, wo sie an der Universität Kunstpädagogik und Malerei studierte. Seit 1982 lebt und arbeitet sie als freie Künstlerin in Freiburg. 2001 wurde sie an der Universität Köln mit einer Doktorarbeit über ästhetische Bildung promoviert und hat seitdem neben ihrer künstlerischen Tätigkeit immer wieder auch Lehraufträge wahrgenommen.
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Mit dem Stichwort “Farbe” möchte ich zu den Arbeiten von Gabriele Vallentin überleiten, deren künstlerisches Thema die sinnliche Erfahrung und die Wirkung von Farbe ist.
Die hier ausgestellten Arbeiten sind zwischen 2003 und 2009 entstanden. Es sind abstrakte Bilder, die vor allem durch ihre Farbkraft ihre spezifische Wirkung entfalten. Damals, 2003, begann Gabriele Vallentin mit neuen, mit großen Formaten zu experimentieren, und damals vollzog sich auch der Wandel von der gegenständlichen zur ungegenständlichen Malerei.
Ein Bild aus dieser Phase ist die in Gelb-Rot-Tönen gehaltene Arbeit mit dem Titel Transitions, die Sie im Foyer empfangen hat, sowie eine weitere, die sie hinter mir sehen. Transition heißt Übergang und das ist auch ein Thema dieser Bilder: Der Übergang von einer Farbe, einer Farbnuance zur anderen, das Verwischen von Grenzen.
Betrachten wir das Bild genauer. Die Farben sind vorwiegend in rechtwinkligen Flächen unterschiedlicher Größe nebeneinander gesetzt, horizontal oder vertikal, teils sich überlagernd, teils überschneidend. Jede Farbnuance ist genau bedacht und auf die benachbarten Farbtöne bezogen.
Es gibt Farbfelder mit deutlichen Grenzen zum Nachbarfeld, bei anderen verschwimmen diese Grenzen oder es entstehen Überlappungen. Durch die Schichtung der Farbflächen nehmen wir diese Farbfelder als räumliche Kompositionen wahr. Und da manche Farben optisch hervorstechen, während andere eher zurücktreten, entsteht in den Bildern der Eindruck von Farbräumen (die horizontalen, helltürkisen Streifen scheinen VOR den anderen Flächen zu liegen). Und wenn die Farbfelder an ihren Grenzen, an den Übergängen verschwimmen, entwickelt sich eine Schwebelage zwischen der Tiefe des Bildraums und der Flächigkeit der Farbfelder. Das macht meines Erachtens einen besonderen Reiz dieser Arbeiten aus.
Die Leuchtkraft und Intensität der Farben ist das Ergebnis eines langwierigen und komplexen Prozesses, bei dem die Ölfarbe in mehreren Schichten, in Lasuren auf die Leinwand aufgetragen wird. Sicher haben Sie sich vor manchem Bild auch schon gefragt, wie es zu der glatten, gleichmäßigen Bildoberfläche kommt? In diesen Bildern hat die Künstlerin zum Abschluss des Malprozesses die oberste Farbschicht mit einem großen Verwaschpinsel glattgezogen, so daß kein Pinselstrich sichtbar geblieben ist. Damit werden die Spuren des Entstehungsprozesses und ihrer individuellen Handschrift ausgelöscht.
Worum geht es nun in diesen Bildern? Es sind keine abbildenden Arbeiten, die uns eine Geschichte erzählen oder einen bestimmten Gegenstand darstellen. Spontan wiedererkennendes Sehen ist also nicht möglich. Und doch sind diese Bilder häufig nicht wirklich gegenstandslos. Bisweilen geben die Bildtitel einen Hinweis, wecken Assoziationen, die allein durch Form und Farbe nicht hervorgerufen worden wären.
Besonders auf Fernreisen, wo Gabriele Vallentin ihr fremdes Umfeld mit unvoreingenommenem, frischem Blick wahrnimmt, sammelt sie persönliche Eindrücke von Menschen, Landschaften sowie von Alltagsszenen, und nimmt Farben und Farbstimmungen in sich auf. Diese hält sie vor Ort in Aquarellstudien fest. Durch das Aquarellieren schärft sie ihre eigene Wahrnehmung für die Dinge und dringt - abseits des touristischen Blickes - tiefer in die jeweiligen lokalen Gegebenheiten ein. In ihrem Atelier überträgt sie diese Erinnerungsbilder dann in Farben, in Farbfelder, auf großformatige Leinwände. Sie verdichtet sie gewissermaßen zu einem geordneten ästhetischen Konzept. Dabei abstrahiert sie ihre persönlichen Seherfahrungen und verschlüsselt diese, indem sie sie in eine ungegenständliche Bildsprache übersetzt.
Lassen sie mich das am Beispiel der Nari-Bilder verdeutlichen, die auch auf dieser Ausstellungsebene hängen. Nari ist ein Hindi-Wort für Frau. Auf einer Reise durch Rajasthan hat Gabriele Vallentin indische Frauen in ihren leuchtend bunten Saris beobachtet, die schwere körperliche Arbeiten verrichteten. Fasziniert von dem Kontrast zwischen der Anmut der Frauen in den fröhlich farbigen Saris und der schweren physischen Arbeit hat die Künstlerin sie in Fotografien festgehalten. Zuhause, in ihrem Freiburger Atelier, hat die Malerin diese Eindrücke dann in Farben und in Farbfelder übertragen.
Ungeachtet ihres ursprünglichen Zusammenhangs hat sie die in den Fotografien dominierenden Farben auf der Leinwand neu angeordnet, in ein chromatisch ausbalanciertes System übertragen. Doch trotz der Abstraktion des Bildgegenstands machen die entstandenen Farbklänge die zweifelsfreie Zuordnung jeden Bildes zu der jeweiligen Fotovorlage möglich. Sie können sich selbst eine Vorstellung von diesem Arbeitsprozess machen, wenn Sie die in einer Mappe ausliegenden Fotos von den Frauen zusammen mit den Nari-Bildern betrachten.
Dieses Prinzip der Abstraktion gilt auch für viele andere Arbeiten. So z.B. für das “Gewürzmarkt” betitelte Bild mit seinen kleinteiligen, verschachtelten Farbfeldern. Es ist von den vielfältigen - natürlich auch farbigen - Sinneseindrücken der Künstlerin auf einem indischen Gewürzmarkt mit seinem bunten Nebeneinander von Verkaufsständen inspiriert. In dieser Arbeit ist kein im voraus festgelegtes Ordnungsprinzip für die Farbflächen erkennbar, weshalb der Bildaufbau offener, dynamischer wirkt als beispielweise in den eingangs erwähnten Transitions, denen ein akkurat ausbalanciertes Ordnungssystem zugrundeliegt.
(Wie übrigens auch den strenger komponierten mit Candi Bentar betitelten Arbeiten. Das Candi Bentar ist das sog. “gespaltene Tor” durch das man einen balinesischen Tempel betritt. Die bauliche Struktur dieses Tores, das nur aus zwei senkrechten Pfosten ohne oberen Abschluß besteht, ist in dem Bild als Kompositionsprinzip zu erkennen. Zwischen den aus den Torpfosten abgeleiteten vertikalen Elementen sind waagrechte Farbschichten eingefügt, die sowohl die üppige Vegetation Balis und das Licht der Insel spiegeln als auch die stufenförmige hinduistische Weltordnung, von der Unterwelt der Dämonen über den irdischen Bereich hinauf zum erleuchteten Götterhimmel.)
Aus der 2008 entstandenen Serie der Tropic Sensations können Sie heute mehrere Arbeiten sehen. In ihnen sind die starken Farbimpressionen aus dem mexikanischen Urwald, aus einer ungezähmten, tropischen Natur verarbeitet, deren Intensität Gabriele Vallentins Empfänglichkeit für die sinnliche Kraft von Farben besonders angesprochen haben. Prägend sind natürlich die vielen verschiedenen Grüntöne und die satten Pflanzenfarben, die von hellem Licht und von dunklen Schattenzonen gebrochen werden.
An dieser Stelle möchte ich kurz ein Wort zur Erarbeitung eines Themas in Serien einfügen. Viele Themen erarbeitet sich die Künstlerin in Werkgruppen wie den Tropic Sensations, die aus 12 unterschiedlich großen Bildern besteht. In immer neuen Farbklängen hält sie den Farbwechsel in den Tropen fest. Darin spiegelt sich nicht zuletzt der Versuch, die Flüchtigkeit der Wirklichkeit, in der sich ständig alles verändert, festzuhalten. Dieses Arbeiten in Serien versucht, diese Schritte der Veränderung zu bannen.
Zuletzt will ich noch auf die jüngste Werkgruppe hinweisen, nämlich auf die im vergangenen Frühjahr entstandenen Arbeiten mit dem Titel Maidan und Perser 1, in denen die Malerin ihre Farberinnerung an einige Gebäude um den Meidanplatz in Isfahan im Iran festhält: die prächtigen türkis und dunkelblau leuchtenden Fliesenmosaiken in den beiden großen Moscheen sowie die warmen, erdigen Rotbraun-Töne der Holzdecke im Torbau zum Palast von Schah Abbas. Sie sind in differenzierten Abstufungen und mit weichen, verschwimmenden Übergängen auf einer dünnen, besonders feinen Leinwand aufgetragen. Die feine Stoffstruktur verleiht den Farben eine fragilere, fast aquarellhafte Wirkung; sie wirken damit ganz anders als die auf gröbere Leinwände aufgetragenen Farben, die dort einen stumpferen, matteren Ton annehmen. Wie bereits in den Nari-Bildern liegen die Farbschichten und Formen locker und transparent übereinander, überschneiden sich und sind miteinander verzahnt. Auch diesen Kompositionen liegt kein im Voraus festgelegtes Ordnungsprinzip zugrunde; das Gefüge der unterschiedlich großen Farbflächen entwickelt sich erst während des Malprozesses. Die Künstlerin läßt sich dabei von der dem Malprozess selbst innewohnenden Dynamik leiten. Dadurch wirken diese Arbeiten freier und offener. In ihnen ist wieder die individuelle, die spontane Handschrift der Künstlerin sichtbar. Ihr Pinselduktus, den sie in früheren Arbeiten bewußt ausgelöscht hatte, ist gezielt als Gestaltungsmittel eingesetzt.
Überhaupt läßt sich feststellen, daß Gabriele Vallentin ihre eigenen künstlerischen Positionen immer wieder überdenkt und gegebenenfalls aufgibt, um sich dann auf Neues einzulassen.
Ich komme zum Schluß. Eingangs hatte ich gesagt, dass beiden hier ausgestellten Künstlern ein vergleichbarer, ruhiger Modus eigen ist . Beide suchen in ihren Arbeiten das harmonische, sorgsam austarierte Miteinander von Formen, Flächen und Farben. Diese Übereinstimmung wie auch die ausgewogenen Kompositionen wirken beruhigend, wohltuend auf den Betrachter, sprechen seinen ästhetischen Sinn an. Bei beiden spürt man die Wertschätzung und Sensibilität für ihre Materialien: die sorgfältige Auswahl des geeigneten Holzstammes, die Wahl der Leinwand, der Pinsel, die selbst angerührten Farbpigmente.
Beide Künstler öffnen mit ihren jeweiligen bildnerischen Mitteln neue Räume, im Künstlerischen wie im übertragenen Sinn: Gabriele Vallentin öffnet mit ihren Leinwänden Räume, in denen sie Farbstimmungen subtil zum Klingen bringt; Charly Loth öffnet kompakte Holzblöcke, in denen er Räume und Formen aufspürt, die er freilegt und nach außen entfaltet. Es sind diese Eigenschaften der Werke, die die Sinne und Gefühle des Betrachters ansprechen. So möchte man verstehen und nachvollziehen, wie diese Räume entstanden sind. Doch neben dem Versuch rationalen Begreifens laden die Werke auch zum einfühlenden, zum intuitiven Betrachten ein. Sie stimulieren ein ganz persönliches ästhetisches Seherlebnis, bei dem ich Ihnen jetzt viel Freude wünsche.
Birgit Laschke-Hubert. Eröffnungsrede zur Ausstellung von Gabriele Vallentin und Charly Loth im Galerieverein Leonberg am 24.1.2010. (Auszug)