Farbfelder, Farbräume und Farberfahrung
Farbe als ästhetische Erfahrung ist Gabriele Vallentins primäres künstlerisches Thema. Während ihre früheren Bilder vorwiegend gegenständlich sind, hat sie in den letzten Jahren eine differenzierte abstrakte Bildsprache entwickelt. Charakteristisch für die meist großformatigen Leinwände sind die rechtwinkligen Felder in sorgfältig ausgewählten Farbtönen, die den optischen Eindruck von Farbräumen erzeugen. Eines erkennbaren Bildgegenstandes beraubt sind die Bilder daher allein über die unmittelbare Wahrnehmung und persönliche Sensibilität des Betrachters zugänglich.
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In den ersten großen, in den Jahren 2003 und 2004 entstandenen Leinwänden mit dem Obertitel Transitions beschäftigte sie sich mit Übergängen. Das ist sowohl inhaltlich als auch formal zu verstehen: inhaltlich im Sinne einer Übertragung von persönlichen, zumeist auf Fernreisen gewonnenen Eindrücken in eine abstrakte Bildsprache, formal im Sinne der künstlerischen Umsetzung, also der Schaffung von weichen Grenzen an den Übergängen zwischen den verschiedenfarbigen Feldern. Die gewählten Farben korrespondieren mit den erinnerten Eindrücken. In mehrschichtigen Lasuren wird die Ölfarbe aufgetragen und dadurch zum Leuchten gebracht. Diese Malweise ist zeitaufwendig und setzt eine präzise Kenntnis der Materialien sowie eine große Erfahrung voraus.
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Die flächenhaft wirkenden Farbfelder sind aus der Bildmitte heraus entwickelt und zu einem fein austarierten Ordnungsgefüge aus verdichteten und aufgelockerten Partien verwoben. Die Künstlerin sucht eine ausgewogene Balance zwischen den Farbflächen innerhalb des Bildfeldes, in dem alle Elemente in ein harmonisches Gefüge treten, alle Teile sowohl aufeinander als auch aufs Ganze bezogen sind. Auf diese Weise bändigt und beruhigt sie die Kraft der Farben. Zum Schluss des Malprozesses zieht sie die oberste Farbschicht mit einem großen Verwaschpinsel glatt: kein Pinselstrich bleibt mehr sichtbar. Die Spuren des Entstehungsprozesses sind damit ausgelöscht und die glatte Maloberfläche wird allein durch die mal gröbere, mal feinere Textur der Leinwand bestimmt.
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Während in den gegenstandsbezogenen Arbeiten Verweise auf die außerbildliche Wirklichkeit immer anklingen, sind die Arbeiten aus der Serie Ohne Titel, die zwischen 2005 und 2007 entstanden ist, tatsächlich ungegenständlich. Es liegen ihnen keinerlei Objekte oder konkrete Eindrücke zugrunde. Die Künstlerin arbeitete allein mit den Ausdruckskräften der bildnerischen Mittel Farbe und Fläche. Farbe ist hier also Gestaltungsmittel um ihrer selbst willen und nicht Illusionsmittel im Dienste einer außerbildlichen Wirklichkeit. Die farbigen Flächen wirken in besonderer Weise tiefenräumlich gestaffelt. Die so entstehende Suggestion von Räumlichkeit hat mit dem perspektivisch konstruierten Raumillusionismus Alter Meister allerdings nichts gemein. Sie verdankt sich vielmehr den Kontrasten der überlagernden und überlagerten Farbflächen mit den sich auflösenden Rändern sowie den optischen Eigenschaften der Farben selbst mit der ihnen inhärenten elementaren Fern- und Nahwirkung. Bei einer vertieften Betrachtung, einem Versenken in diese Farbräume wird der Betrachter angeregt, sich auf die spezifische Wirkung einzelner Farben bzw. Farbklänge einzulassen und mit eigenen Assoziationen zu verknüpfen. Gerade die Stimulation des eigenen Farbsinns macht ihn empfänglich für die meditative Ausdruckskraft der Arbeiten.
Immer wieder ließ die Malerin sich auf Reisen in außereuropäische Länder künstlerisch inspirieren. Der Reiz des Fremden und ein frischer, unvoreingenommener Blick waren mehrfach Auslöser für ganze Werkserien. Vor Ort hält Gabriele Vallentin die neuen Sinneseindrücke in zahlreichen Aquarellstudien fest, die durchaus gegenständlich sein können. Durch das Aquarellieren schärft sie ihre eigene Wahrnehmung für die Dinge und nimmt dadurch außerdem eine stärkere Verbindung zu den jeweiligen Orten auf. Blättert man durch diese Aquarelle, so wirken sie wie ein Reisetagebuch, in dem persönliche Eindrücke und spezifische atmosphärische Stimmungen festgehalten sind. Später, im Atelier werden diese sinnlichen Erfahrungen verarbeitet und geordnet, um dann in eine verschlüsselte, abstrakte Bildsprache überführt zu werden.
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Die ausgeprägte Sensibilität für Farben und Farbstimmungen sowie ihre Empfänglichkeit für starke Sinneseindrücke sind die Grundlage von Gabriele Vallentins künstlerischer Arbeit. Ihre persönlichen Eindrücke verdichtet sie zu einem geordneten ästhetischen Konzept, das sich in abstrakten Bildfindungen niederschlägt. Dabei verzichtet sie auf jegliche impulsive, gestische Ausdrucksweise. Die Wirkung der harmonischen Farbakkorde und Farbstimmungen ist derjenigen von Musik vergleichbar; sie spricht das Gefühl des Betrachters direkt an. Das sehende Auge wird also durch die wahrnehmende Psyche ergänzt. Und so erfährt der Betrachter bei der meditativen Versenkung in Gabriele Vallentins Bilder etwas über seine eigene Wahrnehmungsfähigkeit und sein persönliches Gespür für Farben.
Birgit Laschke-Hubert. Katalog Malerei, Freiburg, 2008. (Auszug)