Ausstellung – Forum Merzhausen

"Bilde, Künstler! Rede nicht! Wie ein Hauch sei dein Gedicht" – damit verwies Goethe (Gedichte, Ausgabe letzter Hand. 1827) die Künstler auf ihre Kunst. Das Wort..., dafür stehe ich heute hier, um quasi stellvertretend für die Künstlerin einige Worte um – das ist nun mal der Örtlichkeit geschuldet – relativ wenige Bilder zu machen.
Doch bevor wir uns den Bildern, die wir in dieser Ausstellung unter dem Titel „Feuer und Wasser" zusammengefasst haben, im Einzelnen zuwenden, möchte ich Ihnen die Freiburger Künstlerin kurz vorstellen:
Geboren wurde Gabriele Vallentin in Bielefeld. In Münster in Westfalen studierte sie zunächst Anglistik und Textile Gestaltung, wo sie auch an einem Gymnasium lehrte. Kurz darauf nahm sie an der Universität Bielefeld mit den Fächern Kunstpädagogik und Malerei ein zweites Studium auf. 2001 – da lebte sie bereits seit knapp 20 Jahren in Freiburg – promovierte sie an der Universität Köln zum Thema „Ästhetische Bildung" und lehrte einige Jahre an der PH Freiburg. 2010 wurde sie mit dem Europäischen Regio-Preis für Bildende Kunst der Europäischen Kulturstiftung „Pro Europa" ausgezeichnet. Sie blickt auf eine umfassende nationale wie internationale Ausstellungstätigkeit zurück, wie Sie bei Interesse den ausliegenden Katalogen bzw. ihrer Homepage entnehmen können. Vertreten wird sie durch die Freiburger Galerie Meier.

Gabriele Vallentin malte nicht von Anfang an abstrakt. Ihr Frühwerk war zunächst gegenständlich ausgerichtet, bevor sie sich vor knapp 15 Jahren der Abstraktion zuwandte; nämlich exakt zu jener Zeit, als sie auch mit großen Formaten zu experimentieren begann. Zu dieser Koppelung kam es nicht von ungefähr, lassen sich doch die Stimmungen, um die es der Malerin geht, im Großformat umfassender einfangen. Dem Ausdruck und dadurch auch der Deutung sind somit mehr Freiraum gegeben. Diese Stimmungen werden vornehmlich durch das Medium der Farbe erfasst.
Rot etwa ist eine aktive, warme Farbe, die für Energie, Leidenschaft und Kraft steht – auf der anderen Seite wird mit ihr aber auch Blut, Gewalt und Gefahr assoziiert. In jedem Fall wirkt sie auf uns anregend und sorgt für Aufmerksamkeit. Violett ist die Farbe des Geistes, aber auch der Einsamkeit und Genügsamkeit. Blau wirkt kühl und beruhigend und wird häufig mit dem Meer und einem strahlenden Sommerhimmel assoziiert. Auch Grün ist eine sehr beliebte Farbe, sie steht für Natur, Wachstum, Gesundheit, aber auch Hoffnung und Entspannung. Gelb wiederum ist widersprüchlich. Je nach Farbton steht es einerseits für Sonne und Licht – andererseits besitzt es auch bedrohliche Komponenten, wohingegen Orange für Ausgeglichenheit, Kraft und Vitalität steht.
Sie sehen also, allein durch die Farbwahl lassen sich bereits ganz bestimmte Stimmungen generieren. Entsprechend ist unsere Bildauswahl – der Ausstellungstitel „Feuer und Wasser" deutet dies bereits an – im Foyer vornehmlich in Rot-Tönen, bzw. auf der Marktseite in Blau und Grün-Tönen gehalten.

Wenden wir uns zunächst diesen Großformaten auf der Stirnseite zu: „Phönix" lautet der Originaltitel dieser Bilder. Sie gehen zurück auf ein Erlebnis der Künstlerin, als sie nachts an einem Ostseestrand einem Osterfeuer beiwohnte. Die großen angezündeten Haufen aus Strandgut und Holzscheiten „loderten hoch in den schwarzen Nachthimmel; weiße, gelbe, orange-rote"... (beschreibt sie das Erlebnis) – Eindrücke, die sich der Künstlerin stark einprägten.
Vielleicht trafen sie bei ihr auch auf eine bestimmte persönliche Situation, wer weiß, indes diese Bilder ja nicht zufällig den Namen der mythischen Gestalt „Phönix" („der Wiedergeborene") tragen. Sie kennen sie, eine Art Vogelgestalt, die am Ende ihres Lebenszyklus verbrennt bzw. stirbt, um aus ihrer Asche neu zu erstehen. Diese Vorstellung findet sich heute noch in der Redewendung „Wie Phönix aus der Asche" für etwas, das schon verloren geglaubt war, aber in neuem Glanz wiedererscheint. Bei genauem Hinsehen erkennt man, dass einige Stellen der Leinwand unbearbeitet blieben. Mit dem Stilmittel der Freilassung, aber auch durch das Verwischen der Farbe erzeugt die Künstlerin einen leicht verschwommenen Eindruck – wie der eines unscharfen Bildes – und die Assoziation von Rauch und Asche.
Dass sich ausgerechnet die in ständiger Bewegung befindlichen, züngelnden Flammen im Bild als blockhafte Streifen niederschlagen, erstaunt natürlich zunächst. Drängt sich dadurch dem Betrachter doch nicht gerade die Assoziation eines lodernden Feuers auf. Rein farblich jedoch – auch in der jeweiligen Gewichtung der Farben zueinander, etwa des Rotanteils zum Orange oder wieviel Grau, Schwarz und Weiß im Gegensatz zu den Rottönen enthalten ist usw. – entsteht durchaus die Assoziation von Feuer, wenn man sich unterschiedliche Stadien des Brandes vor Augen ruft.
Im mittleren Bild beispielsweise leuchtet nur mehr am Rande eine Art Glut. Das meiste ist bereits zu Asche und Kohle verbrannt; während die beiden anderen Bilder eher voll entflammte Scheiterhaufen suggerieren. Und dies täten diese Bilder auch ohne ihren Titel, möchte ich behaupten. Doch bliebe die Assoziation vielleicht mehr im Unterbewussten stecken, als eine Art Gefühl, welches sich erst in dem Moment, in dem man es zu benennen sucht, zu diesen blockhaften Streifen verdichtet – steht der rechte Winkel doch für rationale Vorgänge.

So in etwa darf man sich jedenfalls den Schaffensprozess zu diesen Bildern vorstellen: Am Anfang steht die Impression, das Erlebnis, das sich der Künstlerin bereits als eine Art Farbakkord einprägt. Solche Erlebnisse entstammen vornehmlich den zahlreichen Reisen nach Europa und Asien, Afrika und den USA, die die Künstlerin unternimmt. Jedes Land, jede Gegend, Landschaft oder Jahreszeit entfaltet ihre individuelle Farbzusammensetzung, deren Atmosphäre Gabriele Vallentin vor Ort wie ein Schwamm aufsaugt, bis sie sich beim Malen vor dem geistigen Auge der Künstlerin wieder entspinnt.
Auf diese Weise entstehen häufig Werkgruppen von bis zu zwanzig Bildern. Hierbei stützt sie ihre Erinnerungen auf vor Ort angefertigte, gegenständliche Aquarellstudien und Fotografien, anhand derer sie farblich prägnante Situationen vorab skizziert, die dann im Atelier zur Grundlage der Bilder werden. Erst auf der Leinwand werden die Erfahrungen zum abstrakten Gesamteindruck mit häufig formalen Eigenschaften – wie blockhafte Streifen und Farbquader in rechteckigem Winkel – verdichtet. Die Form tritt zur Farbe, dem Erinnerungsspeicher, hinzu, um die verschiedenen Eindrücke wieder gegeneinander abzugrenzen und zu ordnen, kurz: um sie zu domestizieren.
Auf der Marktseite finden wir uns einer ganz anderen Werkgruppe gegenüber als im Foyer, die jedoch auf ähnliche Weise entstanden ist: Meerlandschaften – sog. „Seascapes" – bzw. in der Mitte das kleinere Bild mit dem Titel „Haus am Meer". Im Gegensatz zu den Phönix- Bildern vermittelt sich in diesen eine Art traumhafter Schwebe, die eher dem Farbenspiel der untergehenden Sonne auf dem Wasser oder einem wolkenverhangenen Himmel über leise pulsierenden Wellen geschuldet sein dürfte als etwa der Erinnerung an ein sturmgepeitschtes Meer – so sehe ich das zumindest.
Sanfte Übergänge kennzeichnen die sinnliche Raumerfahrung vor Ort. Das Ergebnis ähnelt fast dem Erlebnis einer Farblichtinstallation. Im kleineren Bild in der Mitte („Haus am Meer") sind die Farbnuancen quadratisch wie die Töne einer Komposition einander zugefügt, um am Ende genau jenen Gesamtklang zu erreichen, der die erlebte Gesamtsituation farblich wiederspiegelt.
Diese Bilder besitzen also durchaus synästhetische Eigenschaften. Dennoch empfindet und erlebt die Künstlerin vornehmlich in Farben. Ihre Reisen sind wie Expeditionen in andere Farbräume. Es ist ein bisschen so, als mischten sich die verschiedenen Zutaten bzw. Erfahrungen eines Ortes zu einem Ganzen zusammen, das dann als Essenz aus diesen Bildern spricht.
Sehr deutlich wird dabei, dass die Landschaftsstruktur nicht, wie im vielleicht üblichen Abstraktionsvorgang, einfach in ihre farblichen Bestandteile aufgelöst wird (wie wir das z.B. von Kandinskys Landschaftsbild mit der „Kirche in Murnau" kennen, die als solche noch irgendwie erkennbar bleibt). Vielmehr scheint die Künstlerin zunächst die gesamte, dort enthaltene Farbpalette auseinander zu nehmen, um sie dann völlig neu kombiniert, besser: komponiert, also ohne jeglichen formellen Bezug zur Vorlage, wieder zusammen zu setzen – wenn sich auch hie und da noch der farbliche Übergang vom Land zum Meer oder eine Häusergruppe vor waldigen Hügeln erahnen lassen.
Indes kann selbiger Farbakkord im Betrachter ein völlig anderes, nämlich auf dessen Erinnerung basierendes Traumbild hervorrufen. Es ist nicht wichtig, dass die dargestellte Farbigkeit von jedem gleich empfunden wird, auch wenn die Titel gewisse Hinweise geben. Denn die Bilder wirken auf den Betrachter ganz unmittelbar und emotional, wie Musik eben; – häufig wird in der wissenschaftlichen Literatur die Wirkung von Farbe und Musik gleichgesetzt.

Wie viel darf man also vom Natur-Vorbild weglassen, meine Damen und Herren, damit am Ende Kunst übrigbleibt? Oder andersherum gefragt: Wie viel muss man weglassen, damit der Betrachter nicht beim Wink mit dem Zaunpfahl – von der Eindeutigkeit der Darstellung – erschlagen wird? Wie gelingt in der Kunst jene „Stil" genannte Gratwanderung, die die
Darstellung in ausgewogenem Maße zu vermitteln imstande ist?
Dieses Gleichgewicht, in dem Gabriele Vallentin ihre Farbräume durch die Form domestiziert, erreicht sie nicht nur durch ihren Kenntnisreichtum der malerischen Mittel, sondern auch durch ihre überaus sensible Wahrnehmung von Stimmungen. Die weichen Übergänge etwa, wie wir sie in den meisten ihrer Werke vorfinden, lassen sich nur durch rasche Arbeitsvorgänge erzeugen, solange eben die Farbe noch feucht ist. Die Farbe selbst wird niemals pur, sondern stets zu diffundierender Mischung verschmolzen und in einer Vielzahl zartester Abstufungen aufgetragen und zum harmonischen Gesamtklang zusammengefügt. Feinste Lichtveränderungen im unentwegten Wechselspiel aus Sonne und Wolken, das ziselierende Gegeneinander von Land und Wasser, all dies lässt sich im abstrakten Gesamteindruck viel deutlicher festhalten als im Versuch, solch innerlich Erlebtes in konkreten Konturen auf die Leinwand zu bannen.
Und damit habe ich genug geredet, Goethe hätte vermutlich seine Hände über dem Kopf zusammengeschlagen... Den Rest sollen Ihnen die Bilder lieber selbst erzählen! Zur Besichtigung laden wir – der Kulturverein artisse – Sie nachher herzlich ein, ein Glas Wein des Bioweinguts Andreas Dilger mit sich zu führen... Wenn Sie es uns mit Ihrer Spende danken wollen, würden wir uns sehr freuen. Eine Spendenbox steht für Sie auf der Theke bereit.
Doch zuvor möchte ich nochmal der Musik das Wort erteilen: Hören Sie nun das Stück „Invocacìon – Exvocacìon" (2017) des Freiburger Komponisten Wolfgang Motz für Altsaxophon und Fagott, interpretiert von Hanna Schüly und Annette Winker.

Ausstellung – Forum Merzhausen – 04.12. bis 31.01.2019
Einführung: © Dr. Friederike Zimmermann (Kunsthistorikerin, Germanistin)