Ausstellung – Galerie Meier, Freiburg

10.03. bis 19.04.2017
Einführung: Dr. Friederike Zimmermann (Kunsthistorikerin, Germanistin)

Sehr geehrte Damen und Herren,
„Der Fehler fängt schon an, wenn einer sich anschickt, Keilrahmen und Leinwand zu kaufen..." – als Joseph Beuys mit diesem Satz das Publikum prellte und (wie viele andere seiner Zeitgenossen) die Malerei für tot erklärte, kannte er Gabriele Vallentins Bilder nicht. Diese jedenfalls zählen zum Poetischsten und Sinnlichsten, was die Malerei hervorzubringen vermag.
Schon am Galerie-Eingang begegnet man im Schaufenster dem großformatigen „Frühling", der – gegenüber den Schwarzwälder Winterbildern im anderen Schaufenster – in seiner suggestiven Grün-Gelb-Blau-Tonigkeit geradezu ›beschwörerisch‹ vorwegnimmt, was hoffentlich bald eintreffen wird: der Frühling eben. Auch die dort hängenden Kleinformate mit dem Titel „Marokko" kunden bereits in einer Weise von diesem Land, die man sowohl als sinn-ästhetisch wie auch als syn-ästhetisch bezeichnen mag. Doch dazu später. Vorher möchte ich die Freiburger Malerin in wenigen Sätzen kurz vorstellen: Geboren wurde Gabriele Vallentin in Bielefeld. In Münster in Westfalen studierte sie zunächst Anglistik und
Textile Gestaltung, wo sie auch an einem Gymnasium lehrte. Kurz darauf nahm sie an der Universität Bielefeld mit den Fächern Kunstpädagogik und Malerei ein zweites Studium auf. 2001 – da lebte sie bereits seit knapp 20 Jahren in Freiburg – promovierte sie an der Universität Köln zum Thema „Ästhetische Bildung" und lehrte einige Jahre an der PH Freiburg. 2010 wurde sie mit dem Europäischen Regio-Preis für Bildende Kunst der Europäischen Kulturstiftung „Pro Europa" ausgezeichnet. Gabriele Vallentin kann auf eine umfassende nationale wie internationale Ausstellungstätigkeit verweisen, die Sie bei Interesse den ausliegenden Katalogen bzw. ihrer Homepage entnehmen können. Gabriele Vallentins Frühwerk war zunächst gegenständlich ausgerichtet, bevor sie sich vor knapp 15 Jahren der Abstraktion zuwandte – nämlich exakt zu jener Zeit, als sie auch mit großen Formaten zu experimentieren begann. Diese Koppelung geschieht nicht von ungefähr, lassen sich doch im Großformat andere, nämlich elementarere und auch ›archaischere‹ Aussagen treffen als im Kleinen. Und diese wiederum lassen sich in der indifferenten Abstraktion umso genauer benennen. Ein Widerspruch? Nein, denn worauf ich hinaus will ist die vorher schon angesprochene Synästhesie, die in Gabriele Vallentins Bildern so stark zum Ausdruck kommt.
Bis auf das „Frühlingsbild" (2012) und das Großformat „Madurai 6" (2013) stammen alle hier ausgestellten Bilder aus den letzten beiden Jahren. Zugleich pendelten sich diese wieder auf mittelgroße Formate ein. Im Zentrum aller Werke steht unverkennbar die Farbe. Sie ist das Mittel, mit dem die Künstlerin ihre Eindrücke und Erlebnisse von zahlreichen Fernreisen in Europa, Asien, Afrika und den USA in Öl auf die Leinwand überträgt – zum Teil in Serien aus bis zu 20 Bildern. Als Vorlage und Inspirationsquelle, ja eigentlich nur als Erinnerungshilfe, dienen im Atelier zahlreiche Aquarellstudien oder Fotografien, die sie vor Ort angefertigt hat. Doch werden diese nicht im Sinne echter Vorstudien (also eins zu eins) ins Bild übersetzt. Vielmehr erzielt die Künstlerin für sich sozusagen eine analoge Sinneswahrnehmung vom erinnerten Ort und vom fertigen Bild. Sie, die Sie hier vor den Bildern stehen, nehmen indes verschieden gestimmte Farbklänge wahr, die vielleicht die ein oder andere Assoziation hervorrufen. Doch erst im Zusammenhang mit den Titeln („Marokko", „Barisardo", „Napoli" oder „Madurai"...) lässt sich für den Betrachter eine Verbindung zu den Orten.

Wenden wir uns zunächst den kleinformatigen „Marokko"-Bildern zu: Wie hingetupft duftig fügen sich die Farben zu- und ineinander, inspiriert durch einzelne Stände, Gewürzregale, herabhängende Tücher oder sich drängende Menschen in bunten Gewändern auf den Bazars. Dem Format entsprechend liegt diesen Bildern ein eher kleiner Ausschnitt des
dortigen Lebens zugrunde. Ihr Farbakkord entspricht der Farbigkeit der dortigen besonderen Lichtsituation.
Doch steckt noch vielmehr in diesen Bildern: Darin enthalten sind auch die spezifischen Geräusche dieses Landes, seine Gerüche, die Menschen... Es ist ein bisschen so, als mischten sich die verschiedenen Zutaten (mithin die Erfahrungen der Künstlerin) eines Ortes zu einem Ganzen zusammen, das dann als Essenz aus diesen Bildern spricht. Sehr schön nachvollziehen lässt sich dies in den Bildern „Barisardo". Auch hier dienten vor Ort gefertigte Aquarellstudien als Erinnerungshilfe – Horizonte über Wäldern, Wiesen und Dörfern. Im fertigen Bild finden sich jedoch weniger die Landschaftsformen wieder als vielmehr deren farbiger Zusammenklang. Sehr deutlich wird hier, dass nicht wie im vielleicht
üblichen Abstraktionsvorgang die Landschaftsstruktur einfach in ihre farblichen Bestandteile aufgelöst wurde (wie das z.B. bei Kandinskys Landschaftsbild mit der „Kirche in Murnau" der Fall war, das als solches noch irgendwie erkennbar bleibt). Vielmehr scheint die Künstlerin zunächst die gesamte dort enthaltene Farbpalette auseinander zu nehmen, um sie dann
völlig neu kombiniert, besser: komponiert, also ohne jeglichen formellen Bezug zur Vorlage wieder zusammen zu setzen.
Manche Titel wie „Frühling" suggerieren Stimmungen, wiederum andere („Préludes") verweisen direkt auf die Musik. Hier verwandelten sich während des Arbeitsprozesses beim Hören von Chopins „Préludes" die Landschaften von San Francisco in Farbstreifen. Wie bei einer Notenschrift zwingt die Form die Emotionalität der Musik bzw. der Farbe in geordnete
Bahnen, die – zumindest könnte man es auch so sehen – dadurch eine Kontinuität und Leserichtung erhalten. Doch nicht linear verlaufen diese Farbstreifen, sondern zum Teil leicht schräg oder diagonal. Sie erinnerten die Künstlerin an die verschiedenen Horizontschichten im Schwarzwald, deren Anblick auch Ihnen sicherlich vertraut ist.
Die Übergänge sind unklar ineinander verwischt und fasern teilweise zu den Bildrändern hin aus. Manche Farbfelder lassen in ihrer Transparenz die Struktur und den beigen Grundton der Leinwand durchscheinen. Andere verdichten sich mittels zahlreicher Farbschichten zu wahren Untiefen, in die sich das Auge regelrecht versenken kann. Diese Farben scheinen geradezu zu klingen oder wie die Künstlerin auch sagte: zu atmen; eine schöne Metapher, wie ich finde. Diese Bewegung vermittelt sich besonders intensiv auch in der Dreiergruppe der beiden Titel „Phönix" mit „T.C." (Mitte).
Wenden wir uns einer letzten Werkgruppe, den Stadtansichten „SF" (San Francisco) und „NYC" (New York City) von 2015, zu: Sie sehen sich – vielleicht einigermaßen überrascht – gegenständlichen Veduten bzw. Skylines gegenüber, in denen sich die Wolkenkratzer als Kuben klar vom Himmel abheben. Nur sehr indifferent sind hingegen die architektonischen Details markiert.
Hier scheint die Übertragung der durch die Licht- und Schattenbereiche farblich fein unterschiedenen Gebäude (also graue Fläche neben braungrauer Fläche neben beigegrauer Fläche usw.) nicht in reine Farbklänge übertragbar. So staffeln und stapeln sich aneinandergrenzende Farbfelder zu kubistischen Kompositionen, die zum einen zwar eine weitere Dimension in Gabriele Vallentins Schaffen eröffnen, zum anderen aber auch eine schlüssige Verbindung zu vormals Geschaffenem erkennen lassen – etwa dem Gemälde „Madurai" aus dem Jahr 2013, das auf einen indischen Ort rekurriert: Zwar findet sich auch hier eine kubische Bildkomposition, die Gabriele Vallentin jedoch der überaus intensive.

Farbigkeit des exotischen Ortes entgegensetzt, als gelte es für sie diesen Ort ordnend zu vereinnahmen.
Sie sehen, meine Damen und Herren: Auf fast magische Art weisen sämtliche der hier gezeigten Farb-Kompositionen ihre eigene Balance auf zwischen Spannung und Harmonie. Zum Teil wird diese durch kleine Farb-„Störungen" bzw. -Akzente erreicht, die im Bild wie das Tüpfelchen auf dem „I" intervenieren. In der Regel verbinden sich leichte Farben mit schweren, dunklen Tönen; ›milde‹ Stimmungen mit vitaler Expressivität – die, wohlgemerkt, allein durch die Farbigkeit, nie aber durch die Form erzielt wird.
So umspannen Gabriele Vallentins vielschichtige Abstraktionen – einerseits harmonisch, andererseits kontrastreich, dabei weit entfernt von erzählerischen Bildinhalten und bar jeden expressiven Gestus' – jene Steigerung von der Ruhe zur Bewegtheit, wie sie auch der Musik zu eigen ist und die den Motor des Lebens überhaupt bedeutet. Lassen Sie mich hierzu mit einem Zitat von dem berühmten Dirigenten Wilhelm Furtwängler enden: „Die Musik ist an Mittler gebunden. Sie kann nicht, wie die bildende Kunst, von sich selber zeugen, und es ist klar, dass von den Darstellenden das Schicksal in hohem Grade abhängt." Nun, hier klingt es an, das Leben; aus allen Teilen der Welt, wenn man so will, und in deren jeweils individuellen Farbsprachen, die sich hier nun so prachtvoll vor unserem Auge entfalten.

© Dr. Friederike Zimmermann – Kunst & Kommunikation – Merzhausen, 10. März 2017