Die Kunst des Komponierens

Gabriele Vallentin komponiert... komponiert in ihrem Medium, der Malerei, aber nicht, um die gestalterischen Regeln möglichst virtuos zum Einsatz zu bringen, sondern um im Visuellen etwas zum Klingen zu bringen, etwas Immaterielles, Existenzielles, wie bei den Bach'schen Fugen, was sich mit Sehnsucht, Glück, Trauer, Hoffnung, Schmerz umschreiben ließe.

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Im Ergebnis treten höchst sensitive feinste Farbstimmungen miteinander in einen Dialog - nicht um einen Inhalt zu formulieren. Der Dialog ist subtil geführt, d.h. mit viel Feingefühl, mit großer Behutsamkeit, Sorgfalt, Genauigkeit, detailliert, fein strukturiert.

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Es ist pure Malerei im Dialog zwischen verdichteten und aufgelockerten Partien. Sie handelt von Form und Farbe, von Proportionen, korrespondierenden Flächen und immer wieder von der Balance dazwischen. Dabei überlässt die Künstlerin nichts dem Zufall, ist immer auf der Suche nach spannungsgeladener Harmonie, in einer fast physisch spürbaren Ästhetik.

Ästhetik meint dabei nicht glatte Gleichförmigkeit, nicht schmeichelnde Dekoration, sondern Ästhetik als "Lehre vom Schönen", vom sinnlich Wahrnehmbaren oder anders ausgedrückt: G.V. versteht es, mit ihrer Malerei genau den kurzen Augenblick herauszukristallisieren, den wir als absolute Schönheit fixieren. Ihre künstlerische Leistung besteht darin, das labile, ständig gefährdete Gleichgewicht zu finden, den flüchtigen Moment festzuhalten, da Farben und Formen in völligem Gleichklang zueinander finden. Das hat nichts mit Idylle zu tun. Gabriele Vallentin weiß gewiss sehr genau um die Störung, um Disharmonie und Dekonstruktion. Sie verharrt aber bewusst in dem Moment der tröstlichen Stille, die auch uns als Betrachter schöpferisch inspiriert.

Die Malweise von G.V. ist sehr zeitaufwendig und setzt eine präzise Kenntnis der Materialien sowie eine große Erfahrung voraus. Die Leinwand wird mit einem schnell trocknenden Leim transparent grundiert, so dass jeder darauf folgende Farbauftrag genau kalkuliert werden muss. Die kompakte, d.h. deckende zähe Konsistenz der Ölfarbe wird in mehrschichtigen Lasuren aufgelöst und auf der Leinwand fein austariert. Auf diese Weise werden Pinselduktus und harte Farbübergänge - die Spuren des Entstehungsprozesses - ausgelöscht zugunsten luftiger, leuchtender "Farbkissen". In diesem Vorgehen könnte man wieder Vergleiche zur Musik assoziieren.

Wie der Solist die Grundierung des Orchesters benötigt, legt auch G.V. eine visuelle Orchestrierung unter das Hauptmotiv, entwickelt einen komplexen Klangteppich, der als Folie fungiert. In der Musik klingen einzelne Stimmen, Rhythmen und Klangfarben hervor, aus G.V.s Untermalungen blitzen entsprechend Farbspuren und -flächen heraus. So, wie der versierte Hörer erst allmählich die Instrumente heraushört, entdeckt der Betrachter in den Bildern von G.V. immer wieder zarte, feinste malerische Überraschungen.

Beim schnellen Betrachten könnte der geübte Kunstkenner Assoziationen zu den berühmten Farbfeldbildern von Mark Rothko abrufen. Doch bei genauerem Hinsehen wird der Unterschied deutlich. Vallentins Farbräume sind verletzlicher, grundsätzlich leichter, pulvriger, in ihrer Konsistenz weitaus transparenter, weicher in den Übergängen. Ihre Arbeiten haben auch eine völlig andere Entstehungsgeschichte. Sie entwickelt sich aus persönlichen, sehr gegenstandsbezogenen Sinneseindrücken, die sie auf Fernreisen gewinnt. Der Reiz des Fremden und ihr wacher aufmerksamer Blick in fremde Mythen und Kulturen inspirieren sie und sind bereits mehrfach Auslöser für ganze Werkserien gewesen (davon erzählen auch die Titel der Bilder). Die Künstlerin hält vor Ort, also unterwegs ihre neuen Eindrücke entweder in zahlreichen Aquarellstudien fest, die durchaus gegenständlich sind oder sie fotografiert, was sie optisch fasziniert.

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Auch G.V. bewegt sich in ihrem künstlerischen Schaffensprozess vom konkret Wahrnehmbaren zur Abstrakten hin in einem kontinuierlichen Wandel und Werden von Formen und Farben. Für mich ist bei der abstrakten oder konkreten Kunst noch das Element der Ehrlichkeit wichtig: sie ist was sie ist, Farbe und Form in einem konkret sichtbaren Klang – Geschenk einer Andeutung, die jeder für sich interpretieren kann.

Heide Roeder. Eröffnungsrede von Heide Roeder zur Ausstellung mit Bildern von Gabriele Vallentin in der BW-Bank in Donaueschingen, 19.11.2009. (Auszug)